Buchrezension: Micha-El Goehre – Wenn das Leben dir Limonade gibt
Im März 2019 ist Micha-El Goehres zehnte (!) Buchveröffentlichung herausgekommen – mit dem äußerst motivationsreichen Titel „Wenn das Leben dir Limonade gibt, mach Zitronen draus!“ (SATYR Verlag, Berlin). Ich habe es unter die Lupe genommen und es ist tatsächlich das erste Poetry-Slam-Buch, das ich wirklich gelesen habe. (Bei rund 100 Poetry Slams im Jahr hört man einfach schon zu viele Texte direkt von der Bühne, also sei mir bitte verziehen …) Vorab möchte ich schon mal so viel verraten: Ich habe es nicht bereut. Denn hinter der kleinen Textsammlung versteckt sich in der Tat ein wundervoller Schmöker für gemütliche Stunden oder einfach für zwischendurch. Doch dazu später mehr.
Wer ist eigentlich Micha-El Goehre?
Micha gehört zu den bekanntesten deutschsprachigen Poetry Slammern und ist seit 2002 auf Bühnen unterwegs. Er hat zahlreiche Slams gewonnen, ist zweifacher Essener Stadtmeister und hat 10 Bücher geschrieben. Darunter die Coming-of-Age-Roman-Trilogie “Jungsmusik”, die vor allem in der Metal-Szene großen Anklang findet.
Ein kleines Geständnis der Befangenheit – denn Micha-El Goehre ist auch Bühnenkollege & Freund
Zuallererst ein kleines Geständnis: Ich bin befangen. 2015 Sind Micha-El Goehre und ich ungefähr zeitgleich nach Essen gekommen und haben bald gemeinsam den Krawall + Zärtlichkeit Poetry Slam ins Leben gerufen. So sind wir Weggefährten und schließlich auch Freunde geworden und stehen mittlerweile sogar als Slam-Team gemeinsam auf Bühnen. Wenn ich nun über sein neuestes Buch schreibe, bin ich dabei also wahrscheinlich beeinflusst von den Eindrücken, die ich an anderen Stellen von ihm bekommen habe. Einige der Texte aus dem Buch kannte ich bereits von Live-Auftritten und bei den anderen kann ich mir recht gut vorstellen, wie er sie lesen würde. Und machen wir es kurz: Ich mag Micha und ich mag das, was er auf der Bühne und auf dem Papier rüberbringt. Nichtsdestoweniger möchte ich natürlich keine Lobeshymne anstimmen, sondern vielmehr einen möglichst hilfreichen Blick geben auf sein Buch „Wenn das Leben dir Limonade gibt, mach Zitronen draus!“. Mir ist nur wichtig, dass du vorab weißt, dass ich dem Buch gegenüber allein schon aus subjektiven Gründen eher positiv gestimmt bin. Jeder möge dann bitte seinen Teil aus dieser Rezension herauslesen.
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„Einfach nur eine Sammlung von Texten“ – das Micha-El-Goehre-Konzept
Auch wenn Micha-El Goehre eine ganz schöne Rampensau sein kann und auf der Bühne merklich Spaß daran hat, die Lacher und den Jubel aus seinen Zuschauern heraus zu kitzeln, so übt er sich bisweilen in falscher Bescheidenheit. Auch hier stellt er direkt in der Einleitung klar: Das Buch „ist einfach nur eine Sammlung von Texten“ – ohne übergeordnete Handlung oder großes Konzept. Man mag ihm das womöglich gar glauben. Bis man dann die ersten Texte aus dem Buch gelesen hat. Und damit auch die kleinen Überleitungen zwischen ihnen, die mit dem Lesen immer verdächtiger nach einem richtig schönen Konzept aussehen. So entdeckt man schließlich, dass sich hier jemand doch Gedanken gemacht und einen fetten roten Faden durch sein Buch gezogen hat. Etwas, wovon ich behaupten würde, dass es in zahlreichen Textsammlungen fehlt oder zumindest zu kurz kommt. (Wenn ich sie denn alle gelesen hätte.) In „Wenn das Leben dir Limonade gibt, mach Zitronen draus!“ hat mich dieser kleine Clou jedenfalls positiv überrascht. Möglicherweise auch, weil es sich ein bisschen so anfühlt, als würde man sich beim Lesen mit dem Autor unterhalten. Von daher Hut ab. Das langsame Hineingleiten in die Welt von Micha-El Goehre macht auf jeden Fall schon mal Spaß.
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Von Micha-El Goehres Tod über Geburt, Partnervermittlung und den Sex deiner Eltern bis hin zu Geschichten auf dem Kneipenklo – Bandbreite in 34 Akten
Dass Micha längst nicht mehr nur der „Metal-Slammer“ ist, als der er einst bekannt geworden war, hat er in den letzten Jahren oft genug auf Bühnen unter Beweis gestellt. Und so zeigt er auch mit dieser Textsammlung, dass er beim Schreiben über eine gehörige Bandbreite verfügt. Natürlich ist vieles an seinen Charakter geknüpft – an diesen irgendwie absolut liebenswerten Misanthropen, das zartbesaitete harte Kerlchen mit dem deftigen Musikgeschmack, den melancholischen Spaßmacher, Allround-Nerd und Nicht-Lebemann, der in seinen Texten gerne mal ein wenig über die Stränge schlägt. Nur das eben auf sehr vielfältige Weise.
So beginnt er mit dem Unfall-Tod seines lyrischen Ichs, das sich sowie nicht mehr so gut bei ihm aufgehoben gefühlt hatte. Zu viel egoistisches Draufgängertum des Autors und zu wenig Rücksicht auf das zunehmend ausgelaugte lyrische Ich. Ein ebenso überraschender wie schöner Einstieg. Doch wie er mit dem Tod hantiert, so kann er Geschichten aus dem Mutterleib erzählen und eine Gebrauchsanleitung für das Leben geben, Episoden aus der Partnervermittlung mit einem (LAUTEN!) Augenzwinkern zum Besten geben und die tragischen Folgen skizzieren, nachdem Bernd das experimentelle Liebesspiel seiner Eltern beobachten musste. Und wer den Text „Sanitäre Fraternisierung“ nicht bereits von einem seiner Live-Auftritte kennt, lernt hier durchaus nützliches Wissen über angemessene Verhaltensregeln am Pissoir.
Eine romantische Geschichte über den Morgen danach mit Speichel im Ohr
Ein Text, den ich an dieser Stelle noch besonders erwähnen möchte, ist „Romantik“. Denn dieser Text über nächtlich abgesonderten Speichel im Ohr der Liebsten nach dem ersten Date hat mir tatsächlich live schon mehrfach kleine Och-wie-schön-Tränchen in die Augen getrieben. Und auch beim Lesen geht er mir wieder ans Herz. Weil er auf eine leicht verquere Weise einfach doch so romantisch-wundervoll ist, wie ich es Micha vorher gar nicht zugetraut hätte. Und letztendlich stehe ich leider einfach auf Kitsch in gewissen Maßen. Wenn er dann noch in einem eher außergewöhnlichen Gewand daherkommt, umso besser. Denn schnulzige Liebeskomödien oder schlimmer noch Schweighöfer-Filme sind dann wiederum so gar nicht mein Fall.
Ansonsten gibt es in dem Buch noch kürzere Episoden aus dem Postrock – einer meines Wissens erdachten Kneipe, die womöglich gar von Michas Essener Lieblingskneipe inspiriert ist. Und einmal wagt Micha-El Goehre gar den Vorstoß in lyrische Gefilde. Was irgendwie cool ist. Aber sein zukünftiges Metier wird es hoffentlich nicht. 😀
„Wenn das Leben dir Zitronen gibt“: erheiternd mit eigenwilligem & melancholischem Einschlag
Was mir erst beim Lesen dieses Buches so richtig aufgefallen ist: Micha scheint im Laufe der letzten Jahre melancholischer geworden zu sein. Den leicht düsteren Touch hat er ja schon lange, nur wird hier mit dem längeren Schmökern seine doch bisweilen eigenwillig-pessimistische Grundhaltung noch deutlicher. Das ist nicht schlimm und gehört ja vielmehr zum typischen Micha-El-Goehre-Stil. Du solltest dir nur vorab bewusst sein, dass du hier kein typisches Gute-Laune-Buch mit reinen Lach- und Wohlfühl-Geschichten in der Hand hältst. Denn den Eindruck könnte man manchmal bekommen, wenn man nur mal ein, zwei Texte von Micha bei einem Poetry Slam gehört hat.
Nur damit wir uns nicht falsch verstehen: „Wenn das Leben dir Limonade gibt, mach Zitronen draus!“ ist teilweise zum Brüllen komisch – was mitunter in der Bahn zu seltsamen Momenten führen kann, wenn du plötzlich zu Lachen anfängst. Alles in allem eine charmant-komische Betrachtung auf das Leben. Nur eben nicht nur mit Seifenblasen- und Herzchen-Trara, sondern mit offen ausgesprochenen Gedanken, die nicht unbedingt beim Geburtstagstorten-Essen über den Tisch gehen. Ehrlich, authentisch – oder wie Micha vermutlich sagen würde: true. Und bisweilen schonungslos. Insofern ist der Titel des Buches perfekt gewählt.
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Zum gemütlichen Schmökern unterwegs oder auf dem Lokus
In seiner Einleitung schreibt Micha, dass die Geschichten „einfach nur eine kurze gute Zeit bescheren sollen, die eine oder andere vielleicht zum Nachdenken anregen“. Also kein Buch zum Durchsuchten, sondern man könne es auch gut nach einem Text erst mal wieder zur Seite legen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es wirklich gut ist zum schnellen Schmökern zwischendurch – in der Bahn, auf dem Lokus, quasi überall, wo mal ein paar Minuten Zeit sind. Aber man kann auch leicht mal etwas länger hängen bleiben, weil es Spaß macht, gleich zur nächsten Geschichte hinüberzugleiten. Insofern schau, bei welchen Gelegenheiten es sich für dich am besten liest. (Vielleicht ja gar beim Achterbahnfahren oder beim Fallschirmspringen.) Als netter kleiner Begleiter ist es jedenfalls super geeignet und ich kann das Buch uneingeschränkt empfehlen, sofern du sympathisch-lustige Geschichten magst und dich von etwas Melancholie und einer Prise Wahnsinn nicht abschrecken lässt. Also viel Spaß beim Lesen!
- Goehre, Micha-El (Autor)
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Letzte Aktualisierung am 7.10.2024 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API