Ist Poetry Slam nur Comedy in schlecht?

Mrz 31, 2020 | Zwischenrufe aus dem Backstage

Ein Beitrag von Micha-El Goehre

Der Vorwurf dürfte in etwa so alt sein wie Poetry Slam als solcher. Aber spätestens seitdem dieses Format in Deutschland auf Erfolgskurs ist: „Das ist doch nur Comedy in schlecht.“

In der Wahrnehmung vieler Außenstehender bzw. Gelegenheitszuschauer*innen dominieren die lustigen Texte. Alles andere wird gerne als Betroffenheitslyrik abgetan. Das ist unfair. Fragt man hingegen regelmäßige Besucher*innen oder gar Aktive, so dürfte sich das doch eher die Waage halten. Wenn nicht sogar eher mehr ernste Inhalte offenlegen. Nur dass dann gerne die Aussage kommt, lustige Texte würden eh immer gewinnen. Auch das ist unfair. Sogar Unfug.

Sicher ist es so, dass eine Weile lustige Texte sowohl in der Menge als auch auf dem nicht vorhandenen Siegertreppchen deutlich dominiert haben. Aber das hat sich in den letzten Jahren eher ins Gegenteil verkehrt. Wenn man heute mit einem witzigen Beitrag gewinnt, dann oft nur, weil man als Einziger oder einer der wenigen für Abwechslung gesorgt hat. Ansonsten werden lyrische und ernste Vorträge inzwischen deutlich mehr gewürdigt.

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Warum gibt es im Poetry Slam inzwischen so viele ernste Texte?

Warum sich das Verhältnis so geändert (manche würden sagen: verbessert) hat, ist relativ einfach zu erklären:

Erstens wird die Szene immer jünger. Das liegt einerseits an der guten Arbeit der U20-Szene. Inzwischen muss man als Teen nicht mehr in einer Metropole leben, um Zugang zu Workshops oder U20-Slams zu haben. Andererseits scheuen immer mehr ältere Autor*innen vor der Slamszene zurück, weil sie das immer öfter aufkommende „Schülerlyrik“-Stigma fürchten. Sowas nennt sich Teufelskreis. Durch die Verjüngung der Szene wird auch der Ton ernster. Denn seien wir mal ehrlich: Mit siebzehn schieben die meisten doch eher den Weltendrama-Film, frönen Liebeskummer und postpubertären Identitätskrisen. Das schließt den Autoren dieser Zeilen mit ein.

Zweitens wird die Welt beängstigender. Rassismus, Flüchtlinge, Sexismus, Klimakrise und eine wieder größer werdende Chance auf nukleare Auseinandersetzungen sind die großen Themen unserer Zeit. Zunehmende Vereinsamung und die Aussicht auf immer beschissener werdende Zeiten sind eine ganz andere Voraussetzung für die künstlerische Auseinandersetzung als noch für meine Generation, die optimistisch auf das 21. Jahrhundert gehofft hat. Heute wissen wir, dass die Menschheit und vor allem der reiche Teil davon es im ganz großen Stil verkackt hat. Sowas schlägt sich natürlich auch beim Slam in Texten und Gedichten nieder.

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Und woher kommt eigentlich der Vergleich mit Comedy?

Also, ein Mangel an ernsten Inhalten kann es nicht sein, was die Meinung hervorruft, Poetry Slam wäre so etwas wie Comedy. Was denn dann?

Zunächst nun mal das Personal a. D., also die ehemaligen Slammer*innen.

Hazel Brugger, Torsten Sträter*, Felix Lobrecht, Marc-Uwe Kling, Moritz Neumeier, Sebastian Krämer, Till Reiners, Nico Semsrott … Die Zahl derer, die aus dem Poetry Slam direkt in den Kabarett- und Comedy-Bereich wechseln, ist Legion und wächst Monat um Monat. Auf der ernsten Seite muss man schon etwas länger nachdenken. Und ohne zu googlen fallen mir spontan nur Nora Gomringer* und Pierre Jarawan ein. Erstere dürfte nur Lyrik-Interessierten ein Begriff sein und auch Pierre ist eher ein Insider. Ein Insider, der mit „Am Ende bleiben die Zedern“* in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt wurde und weltweit Lese- und Interview-Touren fährt. Aber ansonsten sieht es mit ernster Literatur ehemaliger Slammer*innen eher mau aus.

Wie kommt das? Ist Poetry Slam das Bootcamp für Komiker?

Jein. Aber es ist klar, dass sowohl Wettbewerb als auch Zeitlimit nicht unbedingt für ernste Literatur geeignet sind. Aber sehr wohl als Training für Stand-Up Comedy. Die meisten komischen Texte sind eher Prosa als Lyrik. Damit ist es für lustige Slammer*innen einfacher, sowohl auf der Bühne zu Ruhm zu kommen als auch mit Romanen aufzufallen. Denn wer schon immer Geschichten erzählt, dem fällt es leichter, auch auf der Langstrecke zu überzeugen.

Lyriker*innen hingegen wechseln eher selten in die Romansparte. Und Lyrik selbst ist und bleibt im Massenmarkt eine winzige Sparte. Viele wenden sich der Musik zu und landen im Rap und Singer-Songwriting. Und verschwinden damit vom Spoken-Word-Radar.

Daher hat man oft den Eindruck, das Komödiantische überwiegt im Slam. Hier und da treten sich ernste Poet*innen auch selber auf die Füße, weil manche Slam-Abende extrem monothematisch daherkommen. Nach sechs Texten über die eigene geschlechtliche Identität ist das Publikum froh, wenn in Text 7 ein paar Pipi-Kacka-Wortspiele rausgehauen werden. Die sechs Texte hingegen verschwimmen zu einem Brei, von dem nichts mehr bis zum nächsten Tag hängen bleibt. Da wünsche ich mir einfach mehr Mut zur Vielfalt, sowohl inhaltlich als auch formal. Der typische Slam-Duktus wird langsam zur Selbstparodie. Das darf auch gerne mal vorübergehen.

 

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Am Ende ist Poetry Slam beides: lustig und ernst. Eben abwechslungsreich!

Nichtsdestotrotz ist Slam eben beides: lustig und ernst. Ein schöner Abend lebt von der Abwechslung. Wäre Slam nur lustig, würde sich die Veranstaltung selbst abschaffen. Denn dann wäre es Comedy mit ein bisschen Wettbewerb. Überflüssig. Und wäre es nur ernst, wären die Veranstaltungsräume sehr viel kleiner und sehr viel schlechter besucht. Es wäre das Programmkino unter den Abendveranstaltungen.

Leben wir die Abwechslung. Das Leben ist nicht nur Schwarz und Weiß, es ist bunt. Seien wir froh, dass Poetry Slam das auch ist.

 

Zum Autor: Wer ist eigentlich Micha-El Goehre?

Micha gehört zu den bekanntesten deutschsprachigen Poetry Slammern und ist seit 2002 auf Bühnen unterwegs. Er hat zahlreiche Slams gewonnen, ist zweifacher Essener Stadtmeister und hat 10 Bücher geschrieben. Darunter die Coming-of-Age-Roman-Trilogie “Jungsmusik”, die vor allem in der Metal-Szene großen Anklang findet.

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